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#muttersein#wasistkrankheit

Ausnahmezustand und der Alltag einer Mutter

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Ausnahmezustand und der Alltag einer Mutter | story.one

Die Diagnose von Sebastian ist also eindeutig: schwere, aplastische AnÀmie. Der Alltag im Leben von Sebastian erscheint immer noch ziemlich normal. Er schlÀft zwar viel, aber er macht seinen Haushalt, er hilft mit, wenn wir ihn brauchen. Arbeiten geht er derzeit nicht, das ist zu anstrengend. Seine psychische Belastung lÀsst sich meinerseits nicht abschÀtzen.

‘Ich will nicht jeden Tag ĂŒber meine Krankheit reden’ - wenn Sebastian das sagt, kann ich das sehr gut verstehen. Das Leben ist mehr als der Umstand, in welchem man gerade steckt. Wir befinden uns also derzeit in der Zwischenzeit. In der Zeit zwischen Auswertung der Blutproben und der Entscheidung von Sebastian, ob er eine Therapie möchte.

Ich als Mutter bin inzwischen ‘nur mehr’ Beiwerk in dieser Geschichte. Sebastian ist volljĂ€hrig und fĂŒr sich selbst verantwortlich. Ich kann ihm zur Seite stehen, ihm als Entscheidungshilfe dienen - aber niemals möchte ich seine Entscheidungen treffen mĂŒssen. Manche meinen, es ist schlimm, wenn man bei seinem Kind nicht mehr mittscheiden kann. Ich sehe das anders. Wir haben Sebastian so viel unbeschwerte Zeit wie möglich verbringen lassen. Es gab nie einen Unterschied zwischen ihm und seinen BrĂŒdern, wir haben ‘alle 3’ gleich behandelt.

Ich als Mutter habe mich an den Ausnahmezustand ‘dein Sohn hat eine Erkrankung, an welcher er zu jeder Zeit sterben kann’ gewöhnt. Kann man sich daran wirklich ‘gewöhnen’? Nein, kann man natĂŒrlich nicht. Aber man kann den Tod einladen. Man kann diesen Zustand nutzen, um das Leben zu verstehen. Das Leben ist mehr als die Vermeidung des Todes. In meinem Leben und Kontext hat die Aussage ‘ich lebe jetzt’ einen ganz anderen Hintergund. Ich sehe meinen Sohn Sebastian jetzt und ich weiß nicht, ob ich ihn morgen auch noch sehe. Diese Worte sind real. Diese Situation ist real. Und es sollte fĂŒr uns alle real sein. Wir wissen nie, was morgen ist. Ich, als Mutter von Sebastian, bin dankbar darĂŒber, ihn aufwachsen gesehen zu haben. Gesehen zu haben, wie er einen Beruf ergreift, sich ausbilden lĂ€sst, mit Freunden unterwegs ist, seinen Weg geht und sein Leben lebt. Ich bin dankbar dafĂŒr, dass wir nicht immer einer Meinung sind, dass wir streiten, uns Ă€rgern, den anderen zum Teufel wĂŒnschen und trotzdem wissen, dass wir zueinander gehören und uns aufeinander verlassen können. Nicht, weil wir ‘eine Familie’ sind - nein, weil wir uns als Menschen wertvoll schĂ€tzen, einander zuhören und versuchen, uns zu verstehen, ohne zu urteilen. Mutter sein heißt fĂŒr mich auch, loslassen zu können und auch zu mĂŒssen. Wer bin ich, Sebastian sein Leben vorzuschreiben? Wer bin ich, besser zu wissen, was fĂŒr ihn gut ist? Nur er alleine kann sein Leben meistern und ich kann eine Wegbegleiterin sein und meine Lebenserfahrung mit ihm teilen. Wer kennt von Khalil Gibran ‘Eure Kinder’? Immer wieder sehr passend.

'Zwischen unserer Vorstellung vom Leben und dem Leben an sich liegt der Hauch der Ewigkeit.’

© Michaela Schmitz 2022-01-18

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