Der erste Lockdown und die Zeit danach
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Sebastian unterschrieb den Vertrag zu seinem neuen Arbeitsverhältnis in seiner ‘alten’ Firma wenige Tage vor dem ersten Lockdown im März 2020. Sein erster Arbeitstag war gleichzeitig sein erster Tag im Lockdown zu Hause, da Sebastian durch seine Autoimmunerkrankung Thrombozytopenie zur Risikogruppe durch Covid-19 zählte. Da wir uns alle im ersten Lockdown etwas in Schockstarre befanden, dauerte es einige Zeit, bis es Sebastian zu blöd wurde, ständig zu Hause zu sein (seine Brüder arbeiteten und ich ebenso) und er bestand darauf, ebenfalls arbeiten zu können. 2019 war Sebastian einige Zeit arbeitslos gewesen, dann kam der ‘Zwangsurlaub Lockdown’ und als Sebastian endlich wieder arbeiten durfte, fühlte er sich ziemlich müde und erschöpft. Über den Sommer besserte sich der Zustand etwas, das Blutbild war aber wie üblich schlecht. Im Winter 2020 ging es Sebastian wieder schlechter und da sich sein körperlicher Zustand Anfang 2021 nicht besserte, fingen wir an, die übliche Ärzte-Blutbefund-Routine einzuleiten. Wir erwogen auch psychische Belastungen, in der Firma von Sebastian lief nicht alles rund, auch das Maskentragen war für ihn sehr beschwerlich. Da sowohl sein rotes als auch sein weißes Blutbild sehr schlecht war und er grundsätzlich wenig Sauerstoffsättigung im Blut hatte, bekommt er durch die Masken noch weniger Sauerstoff. Sebastian hat eine ärztliche Maskenbefreiung, welche seine Firma, die 70% Menschen mit Beeinträchtugung beschäftigt, nicht akzeptiert. Der Betriebsarzt meinte, die Gesundheit aller Beschäftigter sei wichtiger als die Gesundheit von Sebastian. Sebastian wird wegen seiner Erkrankung auf der Arbeit durch eine Arbeitsassistentin unterstützt - diese hilft ihm auch bei betrieblichen Auseinandersetzungen. Da Sebastians Erkrankung nicht offensichtlich sichtbar ist, kommt es im Betrieb immer wieder zu verbalen Attacken von seinen ArbeitskollegInnen. So wurde es bald zur täglichen Belastungsprobe für Sebastian, sich trotz der zunehmenden körperlichen Beschwerden in die Arbeit zu schleppen. Sebastian ist ein verantwortungsbewusster Mensch, er arbeitet gerne und gerade durch Corona waren oft die einzigen sozialen Kontakte jene in der Arbeit. Im Frühsommer 2021 hatte Sebastian immer mehr körperliche Symptome, wir machten abermals ein Blutbild - diesmal bei einer sehr selbstbewussten, in sich ruhenden Ärztin in unserer Nähe (in der Hoffnung, einer Panikreaktion aus dem Weg gehen zu können).
Zum Besprechungstermin stellte die Ärztin Sebastian vor folgende Möglichkeiten: entweder bestellt sie jetzt sofort einen Rettungswagen, der Sebastian ins Krankenhaus bringt, oder er fährt am nächsten Tag in der Früh selber in die hämathologische Ambulanz.
Die Panikreaktion hatten wir vermieden - der Krankenhausbesuch war aber unausweichlich.
'Zwischen unserer Vorstellung vom Leben und dem Leben an sich liegt der Hauch der Ewigkeit.’
© Michaela Schmitz 2022-01-10
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