Die Selbstständigkeit und der Krebs
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Der Wunsch meines Vaters war es immer, sich selbstständig zu machen. Er war konzessionierter Drogist, hatte aber immer als Angestellter gearbeitet. Meine Eltern hatten viele Jahre gespart und so konnte sich mein Vater, spät aber doch, mit 45 Jahren seinen Lebenstraum erfüllen - er eröffnete eine Drogerie in Wien 23. Ich kann mich noch ganz genau an die Abläufe davor erinnern. Kaufvertrag, Übernahme, das Geschäft neu ausmalen, neues Schild, Werbematerial, Arbeitsmäntel ... alles neu für mich. Meine Mutter arbeitete halbtags als Sekretärin in einer Firma in der Nähe und die restliche Zeit des Tages verbrachte sie bei meinem Vater im neuen Geschäft. Ich war ab meinem 10. Lebensjahr auf mich allein gestellt und fand das eigentlich sehr angenehm. Endlich mal niemand um mich herum! Die Drogerie war ein sehr gut etabliertes Geschäft in Atzgersdorf und so lief der Laden von Anfang an bestens. Mein Vater nahm Lehrlinge auf und wir hatten auch immer wieder Teilzeit-Angestellte. Meine Eltern hatten all ihr Geld (und noch mehr) in diesen Traum meines Vaters, in das Geschäft, in die Selbstständigkeit gesteckt - und dann kam die Nachricht, dass meine Mutter Krebs hatte. Dass sie eine Operation brauchte und niemand genau sagen könne, wie es danach weiter ging. Mein Vater verfolgte sein Ziel beharrlich - trotz der schwierigen Zeiten. Die Selbstständigkeit, das eigene Geschäft, das Unternehmertum wurden nie infrage gestellt. Meine Eltern arbeiteten rund um die Uhr für die Drogerie, Urlaub gab es wenig, ebenso wenig Freizeit - aber es war nie Thema, das wieder zu ändern.
Ich selber habe einige Krisen hinter mir. Und ich habe mich in einer für mich sehr schwierigen Lebensphase selbstständig gemacht - weil ich einfach wusste, dass ich das Geld, welches ich zum Erhalt der Familie benötigte, nur als Selbstständige verdienen konnte. Ich machte mich in einer meiner belastendsten Lebensphase selbstständig und habe dies nie hinterfragt - ich habe es getan und es war richtig. Ausschlaggebend war sicherlich die Erfahrung damals in meiner Kindheit. Meine Eltern kannte das Risiko, meine Mutter hatte Krebs und hatte immer wieder Operationen, musste zur Chemotherapie, hatte schlechte Phasen, konnte im Betrieb nicht mithelfen - aber es war klar - der eigene Betrieb, das eigene Geschäft wurde nicht infrage gestellt. Ganz im Gegenteil - mein Vater machte noch ein zweites Geschäft, einen Filialbetrieb in Liesing auf. Was für in Glück für mich. Ich führte (als Lehrling) das Geschäft mit meiner Mutter und kaufte diesen Laden nach dem Tod meiner Mutter (und nach meiner eigenen Konzessionsprüfung zur Drogistin) meinem Vater ab und machte 1987 einen Naturkostladen daraus. Heute kann ich sagen: Ich fühle mich als Selbstständige sicher, viel sicherer, als wenn ich ein Angestelltendasein führen müsste. Ich weiß, ich kann meine Zukunft selbst gestalten.
Meine Mutter starb am 13.11.1985 mit 55 Jahren. Todesursache: Lungenversagen durch Lungenkrebs
© Michaela Schmitz 2020-06-21
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