Die Tante Hermi
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'Meine' Tante Hermi war immer für mich da. Sie war mit meinen Eltern befreundet. Mein Vater arbeitete als Vertriebsmitarbeiter bei den Heilmittelwerken, dort lernte er Fritz kennen. Fritz war unsterblich verliebt in Hermi, eine Frau 15 Jahre älter als er. Hermi hatte von ihrem ersten Mann ein Kind verloren - ihr Sohn war mit 5 Jahren an Lungenentzündung gestorben, ihr Mann hatte sich danach von ihr scheiden lassen. Hermi konnte beide Verluste nur schwer verkraften. Deshalb wehrte sie sich umso mehr gegen die Kontaktversuche von Fritz. Mein Vater versuchte zu vermitteln. Meine Mutter versuchte, Hermi zu unterstützen. Letztendlich heirateten Hermi und Fritz. Und alle hofften auf ein langes Happy-End. Doch leider war Fritz recht rasch seiner um 15 Jahre älteren Frau überdrüssig. Und ließ sich wegen einer jüngeren Frau scheiden. Hermi hatte wieder einmal ihr Leben verloren. Sie zerbrach nicht daran - sie hatte neue Freunde gewonnen - meine Eltern. Und mich. Ich liebte ihre Schweinshaxelsuppe und ihre überbackenen Topfenpalatschinken. Sie war eine mutige, selbstständige Frau, die sich nie in den Mittelpunkt gestellt hatte. Von ihrem Sohn erzählte sie mir oft. Und von ihrem Kinderwunsch. Bei meiner ersten Hochzeit meinte sie, ich würde es bereuen, nicht in Weiß und nicht in einer Kirche zu heiraten. Ich habe dies bis heute nicht bereut - aber es war ihr Wunsch. Und er wurde ihr verwehrt.
Hermi war meine Wahltante und sie war Mitglied unserer Familie. Sie war oft bei uns zu Besuch und im Sommer waren wir sie oft besuchen. In Kritzendorf. In einer diesen Pfahlbauten. Ich fand das als Kind und Jugendliche immer urspannend in diesen Häusern im Überschwemmungsgebiet. Man musste unzählige Stufen raufgehen, um ins Haus zu kommen!
Tante Hermin übernahm in den letzten Wochen, bevor meine Mutter verstarb, Anwesenheitsdienste. Wir lebten damals in Breitenfurt, mein Vater hatte meiner Mutter ein Haus gebaut. Vor meiner Geburt hatten meine Eltern ein kleines Haus am Flötzersteig - dieses verkaufte mein Vater, weil er ein Auto wollte. Meine Mutter musste in eine Wohnung ziehen - das war schlimm für sie. Sie war die 'Waldviertler Freiheit' gewohnt. Mein Vater wusste um seine 'Schuld' und so baute er 20 Jahre später ein Haus in Breitenfurt. Die Fertigstellung des Hauses hat meine Mutter nicht mehr erlebt.
Tante Hermi war eine besonnene und krisensichere Hilfe bei der Begleitung meiner Mutter in ihren letzten Stunden. Sie hatte viel Schmerz im Leben erfahren und war doch optimistisch und lebensfroh geblieben. Mir hat sie in den letzten Tagen im Leben meiner Mutter viel geholfen - sie war einfach da - unscheinbar, aber anwesend. Liebevoll, aber nie aufdringlich. Bestimmend, aber nie übergriffig. Verlässlich, aber nie dominant.
Meine Mutter war glücklich, eine hilfreiche Freundin an ihrer Seite zu wissen. Meine Mutter starb am 13.11.1985 mit 55 Jahren. Todesursache: Lungenversagen durch Lungenkrebs
© Michaela Schmitz 2020-06-01
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