Ein Versuch, wieder arbeiten zu gehen
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Mein Sohn Sebastian hat seit 2004, nach einer FSME-Impfung, Thrombozytopenie. Seine Erkrankung verschlechterte sich 2021 und die neue Diagnose lautet nun: aplastische Anämie. Alle 3 bis 4 Wochen braucht Sebastian eine Bluttransfusion, um überleben zu können. Im Februar 2022 wollte Sebastian einen Versuch starten und wieder arbeiten gehen. Doch Corona machte ihm vorerst einen Strich durch die Rechnung. Er wurde im Februar positiv getestet (und hat seine Infektion gut überstanden). Danach wollte er es wissen: kann ich wieder in meinem Beruf als Betriebslogistiker arbeiten? Zumindest 20 Stunden in der Woche? So wagte Sebastian das Experiment. Der erste Tag ging ganz gut. Die Beine taten weh. Der zweite Tag war auch ok. Aber dann hatte er ganz schlimme Schmerzen in seinen Füßen. Die Arbeitsschuhe drückten die Blutgefäße ab, das Blut konnte zu wenig zirkulieren, der Sauerstoff wurde zu wenig durch seinen Körper transportiert. Wir versuchten mit Salben, Tinkturen und Schmerzmitteln, die Schmerzen in den Griff zu kriegen. Wir hatten keine Chance. Sebastians Füße hielten der Beanspruchung durch seinen Job nicht stand. Er konnte kaum schlafen vor Schmerzen, er konnte kaum gehen vor Schmerzen und er konnte vor Schmerzen auch nicht mehr mit seinem Auto zur Arbeit fahren. Somit war das Experiment, wieder einen halbwegs geregelten Alltag zu haben und arbeiten zu gehen, gescheitert. Sebastian benötigte rasch eine Bluttransfusion. Aber er wollte nicht wieder zu schnell gestochen werden (seine Venen leiden unter den ständigen Transfusionen) und er wollte nicht wieder zusätzliche Schmerzen durch die Transfusion in den Beinen. Somit wartete er ab. Am Morgen zur Bluttransfusion wäre er fast bei uns im Wohnhaus am Gang kolabiert. Er hatte verschlafen, hatte sich zu rasch geduscht, war zu schnell in den Lift gestiegen, um zu seinem Auto in der Garage zu kommen - und dann stand er am Gang, ans Fenster gelehnt und kotzte - wir haben Sebastian mit dem Auto ins Krankenhaus gebracht. Nach der Bluttransfusion ging es ihm wieder gut. Die Schwellungen und Hämatome an den Beinen heilten ab. Das Kribbeln ließ nach. Sein Zustand stabilisierte sich. Aber wie sollte es nun weiter gehen? Gab es eine Therapie und einen möglichen Knochenmarkspender? Die Firma machte Druck, sie wollte wissen, wie es nun weiter ging und ob sie mit Sebastians Arbeitsleistung rechnen konnten oder nicht. Wir machten uns einen Termin in der Privatordination bei seinem zuständigen Arzt aus. Damit wir endlich mal einen Plan bekämen. Und zu diesem Termin wurde uns mitgeteilt, dass es endlich einen Fremdspender gab (niemand in unserer Familie ist passend, um Sebastian Knochenmark oder Stammzellen zu spenden) und dass Sebastian demnächst einen Termin zur weiteren Abklärung im AKH bekommt. Den Termin im AKH hat Sebastian erhalten. Aber alles andere war dann wieder ganz anders.
'Zwischen unserer Vorstellung vom Leben und dem Leben an sich liegt der Hauch der Ewigkeit.’
© Michaela Schmitz 2022-05-12
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