Eine Frage der Schuld?
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Nachdem Sebastian die Diagnose aplastische AnĂ€mie hat, sind wir auf der Suche nach einem passenden Stammzellspender. Zuerst wurden Emil und Daniel, Sebastians BrĂŒder, zur HLA-Diagnose geschickt. Hierbei wird Blut abgenommen und in langwierigen Analysen untersucht. Auch ich wurde gebeten, mir Blut zur Analyse abnehmen zu lassen. Seit letzten Freitag steht fest - weder Emil noch Daniel haben eine 100prozentige Ăbereinstimmung mit Sebastians Werten. Mein Ergebnis ist noch ausstĂ€ndig. Man geht aber davon aus, dass, wenn schon die Stammzellen der BrĂŒder nicht genau passen, meine noch weniger passen werden. Somit haben die Ărzte Sebastian vorgeschlagen, in der weltweiten Stammzellenspenderdatenbank nachzuschauen, ob es einen passenden Spender gibt. Ich muss ehrlich sagen, dass es mich jetzt nicht so wirklich getroffen hat, dass keiner der BrĂŒder fĂŒr eine Stammzellenspende fĂŒr Sebastian in Frage kommt. Was mich jedoch immer wieder beschĂ€ftigt, ist die Frage der Schuld. Ich habe damals (2004) entschieden, dass Sebastian gegen FSME geimpft wird. Meine Motivation war nicht unbedingt die Sorge einer Erkrankung durch einen Zeckenbiss. Meine Sorge war eher, dass Oma und Opa weiter Druck machen wĂŒrden und wenn dann doch vielleicht etwas passieren wĂŒrde, ich die Schuld hĂ€tte, Sebastian nicht geimpft zu haben. Ich wollte der Verurteilung aus dem Weg gehen. Das ist mir wohl nicht so ganz geglĂŒckt. Was ich hier sagen will - ich bin nicht zu 100% hinter dieser Impfung gestanden. Ich habe meine Söhne Emil und Sebastian gegen FSME impfen lassen, weil ich dem Druck von auĂen nachgegeben habe. NatĂŒrlich macht diese âhĂ€tte ich mich damals anders entschieden'-Geschichte keinen Sinn. Ich habe entschieden und es ist geschehen. Aber ich entkomme nicht ganz. Es ist die Frage, ob man eine Entscheidung und ihre Auswirkung dadurch auf andere wirklich als Schuld bezeichnen kann. Und es lĂ€sst sich nicht mit einem âniemand hat Schuldâ wegwischen. Verantwortung ist Verantwortung. Ich habe als Mutter Verantwortung gegenĂŒber meinen Kindern zu tragen. Und habe ich aus bestem Wissen und Gewissen entschieden? Habe ich alle âwennâ und âaberâ abgewogen? Man kann natĂŒrlich auch behaupten, danach ist man immer gescheiter. Ich weiĂ auch, dass einige Menschen mit dem Wort âSchuldâ nicht ganz klar kommen. Ich meine hier nicht die Schuld, von der die Kirche spricht. âSchuldâ an etwas, wo ich als Mutter entschieden habe, wo ich vertraut habe, dass es das beste ist, aber vielleicht nicht alles bedacht habe und es sich - vordergrĂŒndig - nicht als das beste herausgestellt hat? Kennt ihr die Geschichte âDer alte Mann und das Pferdâ? Die kommt mir immer wieder in den Sinn. So wĂ€lze ich das Thema âSchuld und Verantwortungâ immer wieder.
Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Artikel 3, Charta der Grundrechte der europÀischen Union.
'Zwischen unserer Vorstellung vom Leben und dem Leben an sich liegt der Hauch der Ewigkeit.â
© Michaela Schmitz 2022-02-06
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