Nächster Stopp: Beckenkammpunktion
- 146

Nach den ambulanten Blutransfusionen für Sebastian im Sommer 2021 stellten die behandelten Ärzte die Diagnose ‘Thrombozytopenie’ in Frage. Es musste mehr als das sein. Und alle waren sich einig: Mit so einem Blutbild kann man eigentlich nicht leben. Und Sebastian lebte. Der junge Arzt, mit dem Sebastian sich gut verstand, legte ihm nahe, wieder eine Beckenkammpunktion zu machen. Die Ärzte im Krankenhaus vermuteten, dass das Knochenmark so gut wie keine Blutbestandteile mehr bildete. Um diese Vermutung zu bestätigen, musste von Sebastian Knochenmark und eine Knochenstanze entnommen werden. Dieser Eingriff erfolgt ohne Narkose. Sebastian wollte auch selber eine aktuelle Diagnose haben - vielleicht gab es ja auch eine Therapie? Auch in seiner Firma wurde ihm nahegelegt, bald eine Diagnose zu erhalten, um sicher zu stellen, wann er wieder arbeitsfähig und einsatzbereit sein würde.
Für Sebastian und mich war klar: die Entscheidung für eine Knochenmarkpunktion braucht seine Zeit, die Entscheidung für eine Therapie braucht seine Zeit und jeder Mensch, der vor solchen wichtigen Entscheidungen in seinem Leben steht, hat jede Zeit der Welt für sich, um zu entscheiden.
Einige der Ärzte sahen das etwas anders und meinten, Sebastian würde seine Krankheit verdrängen, etwas ausblenden. Sebastian konterte: ich lebe seit 18 Jahren mit der Krankheit - wie sollte ich das ausblenden? Zusätzlich sucht Sebastian auch Unterstützung bei einer diplomierten Sozialarbeiterin - sie stellt ihm Fragen, die er sich selber nicht stellen würde.
Im August 2021 entschied sich Sebastian für eine Beckenkammpunktion, um endlich Klarheit über seinen körperlichen Zustand zu erhalten. Die Auswertung eines solchen Eingriffs dauert lange - alles wird genauestens analysiert. Ende September war mit einem Ergebnis zu rechnen. Sebastian wurde zu einem Termin zur Besprechung eingeladen. Mir war das wieder alles zu nah und zu emotional, deshalb fuhren Sebastian und Udo zum Termin - der natürlich anders als erhofft verlief.
Sebastians Arzt seines Vertrauens war nicht anwesend - dafür der Leiter der Abteilung. Er hatte sich nun diesen Fall zu seinem Fall gemacht. Ohne Absprache, ohne den Patienten zu fragen, ob das auch für ihn passt. Und als Draufgabe: die Beckenkammpunktion war ‘gescheitert’, die Knochenstanze fehlerhaft und nicht auswertbar. Sebastian war vollkommen vor den Kopf gestoßen. Der ‘neue’ Arzt befragte ihn erneut zu seiner Krankheitsgeschichte, meinte, Sebastian hätte ein Problem mit Essen und Gewicht zunehmen, meinte, er verdränge seine Krankheit. Und riet ihm, einer weiteren Beckenkammpunktion zur Abklärung zuzustimmen.
Sebastian brauchte Zeit, um Abstand zu gewinnen, um nachzudenken. Und vor allem wollte er einen Termin bei SEINEM Arzt des Vertrauens. Es wurde über ihn geurteilt, ohne ihn zu kennen.
'Zwischen unserer Vorstellung vom Leben und dem Leben an sich liegt der Hauch der Ewigkeit.’
© Michaela Schmitz 2022-01-13
Kommentare
Jede*r Autor*in freut sich über Feedback! Registriere dich kostenlos,
um einen Kommentar zu hinterlassen.