Wer entscheidet über meinen Körper?
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Sebastian hatte seine Beckenkammpunktion hinter sich, aber immer noch keine neue Diagnose. 2004 war nach einer FSME Impfung die Autoimmunerkrankung Thrombozytopenie diagnostiziert worden, 2020 verschlechterte sich der Zustand von Sebastian, seit 2021 muss er zu regelmäßigen Bluttransfusionen ins Spital. Sebastian hatte zu einem der Ärzte im Krankenhaus Vertrauen gefasst, dieser Arzt war jung und sah Sebastian als Mensch mit einer erstaunlichen körperlichen Konstitution, die so gar nicht zu seinen Blutbefunden passte. Sebastian fühlte sich wahrgenommen in seinem Umgang mit seinem eigenen Körper und seiner Erkrankung. Die Befundbesprechung der ersten Beckenkammpunktion hatte sich der für die Abteilung zuständige Oberarzt zugeteilt. Sebastian war einfach überrollt von Schuldzuweisungen. Und er nahm all seinen Mut zusammen und verlangte nach einem weiteren Termin mit diesem Arzt. Sebastian konfrontierte den Arzt damit, wie er sich bei der Befundbesprechung gefühlt hatte. Der Arzt hörte zu und er entschuldigte sich.
Nun war die Frage, ob Sebastian einer weiteren Beckenkammpunktion zustimmen würde. Aber was bleibt einem in dieser Situation? Keine Diagnose haben und auf Blutkonserven angewiesen sein? Oder doch endlich eine Diagnose und eventuell eine Therapiemöglichkeit?
Sebastian stimmte einer weiteren Beckenkammpunktion zu, allerdings nur, wenn er ein ‘Schlafmittel’ für die Entnahme des Knochenmarks und der Knochenstanze bekam. Er wollte diesen körperlichen Schmerz nicht noch einmal erleben. So wurde ihm im November 2021 abermals Knochenmark und, zur Sicherheit, zwei Knochenstanzen entnommen.
Diesmal gab es eine Diagnose. Der Befund wurde mit seinem Arzt des Vertrauens (und mit mir am Telefon) besprochen. Die ‘neue’ Diagnose lautet: schwere, aplastische Anämie. Dh, Sebastians Knochenmark produziert (außer Granulozyten und Fettzellen) keine Blutbestandteile. Sein Knochenmark hat die Arbeit aufgegeben.
Was heißt das nun? Vorerst erhalten die Bluttransfusionen Sebastians Körper am Leben. Wie lange das gut geht, weiß niemand. Meist treten nach einiger Zeit Abwehrreaktionen gegen die zugeführten Blutkonserven auf, das sich ablagernde Eisen macht Probleme.
Als Therapiemöglichkeit gibt es Stammzellentransplantation - möglichst von Angehörigen. Sebastians Brüder, Emil und Daniel, haben sich für eine HLA-Analyse Blut abnehmen lassen. Ich habe mein Blut auch schon abgegegen und der Vater von Sebastian (er lebt in Deutschland) unterzieht sich auch einer Analyse. Bei passenden Stammzellen von den Angehörigen gibt es bei einer Therapie eine 70 bis 80%ige Heilungschance.
Möchte Sebastian diese Therapie? Was bedeutet das für ihn? Wie viele Monate muss er (isoliert) dafür im Spital verbringen? Ist es das, was er will? Gibt es in der Coronapandemie eine Perspektive? Fragen über Fragen …
'Zwischen unserer Vorstellung vom Leben und dem Leben an sich liegt der Hauch der Ewigkeit.’
© Michaela Schmitz 2022-01-16
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