Siavas und sein zweites Leben
- 203

Schon bei der Bestellung meines Cappuccino fielen mir die funkelnden grünen Augen und weißen Zähne auf. Seine lebensbejahende Aura reichte bis ins hinterste Eck des Cafés und zog dauernd meine Aufmerksamkeit an.
Er grüßte jeden Gast mit einem herzlichen Lächeln. Ihre Gesichter spiegelten die Freude wider. Sein Bein war verletzt, er hinkte und brauchte bei manchen Tätigkeiten etwas länger. Er nahm sich die Zeit. Seine Ruhe war sein Antrieb.
„Du hast es nicht leicht, mit der Verletzung den ganzen Tag im Stehen zu arbeiten. Wie geht es dir?“ fragte ich. Sein Gesicht leuchtete auf: „Im Gegenteil, mir geht es richtig gut damit! Ich bin sehr glücklich darüber hier sein zu können – denn ich bin am Leben!“ Meine Haare stellten sich auf.
Siavas, dessen Name „Krieger“ bedeutet, reiste mit einer Freundin für eine Zahnbehandlung in den Iran – Veneers für ein strahlendes Lächeln. Er war begeistert von seinen neuen weißen Zähnen. Aber dann nahm die Reise eine dramatische Wendung. Aus 14 Tagen Urlaub wurden 18 Wochen überleben.
Bei einem Ausflug wurde ihr Auto von einem LKW erfasst. Sie warteten vor einer Bahnschranke, als seine Bremsen ausfielen. Die Fahrerin schaffte es gerade noch aus dem Auto. Für Siavas war es zu spät: Der Truck raste genau auf seine Seite zu. Sich abzuschnallen und auszusteigen hätte seinen Tod bedeutet.In der Hoffnung, dass das Auto nur „geschoben“ werden würde, blieb er sitzen. Der Lastwagen überrollte ihn. Der Seitenspiegel schlitzte seinen Kopf von der Stirn bis in den Hinterkopf auf. Seine Beine wurden zertrümmert. Wochenlang lag er im Koma, kämpfte um sein Leben. Er war der einzige Verletzte. In einem fremden Land fernab von all ihm vertrauten. Mir standen die Tränen in den Augen.
„Als ich aus dem Koma aufwachte, wollte ich zuerst meine Zähne sehen.“ Wir lachten. Dann sagte er nachdenklich: „Wie ich die Schmerzen spürte, war ich überglücklich. Da wusste ich, dass ich überleben werde. Ich wusste, ich werde heilen.“
Seine iranische Freundin und ihre Familie gestalteten ihm ein fröhliches Umfeld. Gedanken wie „warum ich“ und „hätte ich nur“ kamen ihm nicht in den Sinn. Als er sich wieder etwas bewegen konnte, brachten sie ihn an schöne Orte und teilten ihre Freude am Leben. Statt Angst und Wut, praktizierten sie eine Heilkunst, die von nun an sein Lebenselixier sein soll: Sich lachend und nach vorne blickend auf das Leben einzulassen. Er sagte, wäre er nicht dort gewesen, wäre der Unfall nicht passiert. Doch wäre es woanders passiert, wäre er nicht genesen. „Mir geht es besser denn je! Die Arbeit hier tut mir gut. Ich stehe, gehe und zwischendurch kann ich sitzen. Meine Beine werden immer kräftiger. Die Krücken lasse ich in der Ecke.“ sagte er stolz. Ein wahrer Kämpfer – sein Name ist kein Zufall.
Pläne macht er keine mehr. Er lebt und liebt jeden Tag so, wie er kommt. Ich fragte ihn, was er anderen gerne mit auf ihren Weg geben möchte. “Positiv bleiben. Einfach positiv bleiben” und schenkte mir sein schönstes Lächeln.
© ShareSomeGood 2022-10-30
Kommentare
Jede*r Autor*in freut sich über Feedback! Registriere dich kostenlos,
um einen Kommentar zu hinterlassen.