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#reisen

Eine Nacht in Paris

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Eine Nacht in Paris | story.one

Ein ganzes Bataillon langbeiniger Weberknechte hat die graue Betondecke des schmuddeligen Badezimmers eingenommen. Mehr als eine Katzenwäsche geht sich da nicht aus. So rasch wie möglich will ich diesem düsteren Gruselkabinett entfliehen und zurück in das schmale Zimmer mit dem Stockbett, das wir frisch verliebt in der Auberge de jeunesse im Zentrum von Paris bezogen haben.

Als wir uns eng aneinander kuscheln, schleudert Zeus grelle Blitze, während Thor seinen Hammer enthusiastisch gegen die Wolken schlägt, deren dröhnender Donner unsere Ohren betäubt. Ein wahrer Sturzbach ergießt sich auf die Stadt der Liebe und füllt das Flussbett der Seine mit Unmengen von frischem Regenwasser. Wir sind müde von der langen Fahrt, die uns durch den Elsass geführt hat, wo wir am Tag zuvor in Straßburg im Gemeinschaftssaal einer Jugendherberge übernachtet haben.

Willkommene Sonnenstrahlen kitzeln uns morgens aus unserem tiefen Schlummer, und gestärkt mit knusprigen Croissants verlassen wir die Herberge, um die Metropole zu erkunden. Doch weit kommen wir nicht, denn während der nächtliche Himmel seine Schleusen geöffnet hatte, haben freche Diebe die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und bei allen Autos mit ausländischem Kennzeichen die Seitenfenster eingeschlagen. Entsetzt sehen wir, wie ein Straßenkehrer die Scherben unseres Autofensters in das Rinnsal kehrt. Unser Autoradio ist dahin, so auch eine kleine Tasche mit unseren Badesachen samt Fotoapparat, die ich wegen des Unwetters im Fond des Wagens vergessen habe.

Nun ist guter Rat teuer, denn eine rahmenlose Scheibe für unser Datsun Coupé auf die Schnelle aufzutreiben ist ein Ding der Unmöglichkeit. So beschließen wir zur österreichischen Botschaft zu fahren. Die Adresse habe ich in Wien beim französischen Fremdenverkehrsamt erhalten, nur für den Notfall. Im Nachhinein betrachtet eine Schnapsidee, denn haben wir wirklich geglaubt, ein Mitarbeiter der Botschaft würde unser Auto reparieren?

Unverzagt rollen wir unter der Pariser Oper hindurch, in welcher Stadt ist das sonst noch möglich? Einmal den Champs-Èlysées entlang, der Eifelturm winkt von der Ferne, auch der Louvre. Leider kein Lächeln der Mona Lisa für uns.

Nur mit Stadtplan und meinem Schulfranzösisch erreichen wir endlich unser Ziel, bloß um zu erfahren, dass die Ambassade übersiedelt ist. Zur neuen Adresse nochmals unter der Oper durchgedüst, wieder Fehlanzeige. Wie oft übersiedelt eigentlich die österreichische Botschaft pro Jahr? Bis wir den dritten Standort erreichen, läuten die Glocken gerade Mittag ein. Es klingelt in unseren Ohren, als wir erfahren, dass unsere Vertretung Punkt High Noon ihre Pforten geschlossen hat.

Merde! Nächste Station Poste de Police. Mit der Bestätigung für die Reiseversicherung in der Tasche kaufen wir ein Baguette, das aufgrund der Hitze zu einem steinharten Knüppel mutiert, mit dem ich den nächsten Dieb mühelos erschlagen könnte.

Salut, ville de l'amour!

© Silvia Peiker 2021-02-19

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