Hilfe, ich hab' den Virus!
- 180

Und er hat mich ordentlich erwischt! Passend zum infektiösen Tumult in meinem Kopf erhellt die Nachttischlampe mit ihrem schummrigen Schein die letzten, spannend geschriebenen Seiten von âDie Verratenen, âDie âVerschworenenâ und âDie Vernichtetenâ. Ursula Poznanskis Triologie zĂ€hlt eigentlich zur Jugendliteratur, was nicht bedeutet, dass nicht auch Erwachsene in diesen Thriller eintauchen dĂŒrfen, und befasst sich, verpackt in eine eloquent ersonnene Story, mit einem brandaktuellen Thema, das ja in unser aller Gedanken gleich einer endlos wirbelnden Spirale seit mehr als einem Jahr seine Pirouetten dreht. Gespickt mit lâamour, Abenteuer und Suspense genau das Richtige in meiner prekĂ€ren Lage.
Meine Wangen glĂŒhen, es ist, als wĂŒrde mich ein Feuer innerlich verzehren. Schlaflos wĂ€lze ich mich zwischen den feuchten Laken. Kaum im sĂŒĂen Schlummer versunken, schrecke ich bei jedem kleinsten GerĂ€usch hoch, denn in meinem Kopf reichen fiktive Ideen und fantasievolle Hirngespinste einander die HĂ€nde, und machen es mir nicht gerade leicht, sie voneinander zu unterscheiden.
Was so ein Fieberwahn alles bewirken kann, besonders in Kombination mit nahezu vollkommener Isolation von der AuĂenwelt. Geistesblitze zucken durch mein Bewusstsein, machen mir bewusst, dass eine mögliche Genesung lediglich durch wohltuende Ruhe und kreative Besonnenheit erwirkt werden kann. Ich muss mich wohl in mein Schicksal fĂŒgen, denn eine Heilung ist noch lange nicht in Sicht.
Ich habe keinen blassen Schimmer, wann mich dieser Virus aus seinen Klauen entlÀsst, wie lange ich noch als seine Gefangene wie Rapunzel im schwindelig hohen Turm der fiktiven Wortkreationen und des Fabulierens eingeschlossen bin. Aber die Worte und SÀtze erklimmen nicht an Rapunzels langem Zopf mein aufgezwungenes Verlies, nein, sie schwirren um mich herum und wollen eingefangen werden.
Mir ist klar, dass das Schmieden von Geschichten auf story.one mir hilft, dieses Weggesperrt-Sein von liebgewordenen Gewohnheiten, wie Theaterbesuche, Kaffeehaustratsch mit Freund*innen oder sinnfreiem Shoppen ohne Angst vor Ansteckung im Nacken, zu ertragen. Auch diese quÀlende Ungewissheit, wann der ganze Wahnsinn endlich ein Ende hat.
Ja, das ist Jammern auf hohem Niveau, verpackt in eine Story, die meine glĂŒhende Leidenschaft, zu schreiben, in Worte fasst, in die Welt zu euch hinaustrĂ€gt.
âUnsere Leidenschaften sind wahre Phönixe. Wie der alte verbrennt, steigt sogleich der neue wieder aus der Asche hervor.â
Treffender als Goethe kann ich nicht beschreiben, wie es ist, wenn ich meinen imaginÀren Federstil in die Tinte tauche, damit eine neue, körperlose Idee Gestalt annehmen kann. Und diesen sich stets reproduzierenden Virus möchte ich nicht mehr missen, da ist hoffentlich kein Kraut dagegen gewachsen.
(eigenes Foto) GemÀlde v. John William Waterhouse: Lady of Shallot
v. John William Waterstone: Lady of Shallot (Tate Gallery)
© Silvia Peiker 2021-04-20
Kommentare
Jede*r Autor*in freut sich ĂŒber Feedback! Registriere dich kostenlos,
um einen Kommentar zu hinterlassen.