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#leidenschaft#lebensfeude

Vanitas

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Vanitas | story.one

Eigentlich hat sie sich vorgenommen, aus ihrem Schwimmreifen, der sich wie eine Klette an ihre Taille schmiegt, die Luft auszulassen. Aber leichter gesagt als getan, meistens purzeln die Kilos nur dort, wo es ohnehin nicht nötig gewesen wäre. So muss sie sich eben, mit angehaltenem Atem, in das enge Mieder des kornblumenblauen Kleides zwängen. Diese Tortur hatten doch schon unzählige, einem eigenartigen, sanduhrähnlichen Schönheitsideal nacheifernde Repräsentantinnen des weiblichen Geschlechts in früheren Zeiten auf sich genommen, das musste doch zu bewerkstelligen sein!

Nun fehlt nur noch die Perücke mit den Löckchen auf ihrem Haupt und dem Besuch des Barockfests in ihrem Jagdschloss steht nichts mehr im Wege.

Gemeinsam flaniert sie mit ihren Töchtern und dem besten aller Väter, dessen Kostümierung sich ein unentschiedenes Duell mit Sonnenkönig und ihrem Gemahl, Franz Stephan, liefert, durch den Schlossgarten. Tapfer stöckelt sie mit den Erzherzoginnen auf dem kiesbestreuten Weg in den Innenhof ihres prächtigen Palastes, wo sie schon die Musikanten und ihr Hofstaat erwarten.

Die laue Frühlingsnacht und die Nähe der Donau halten Schwärme von blutsaugenden Plagegeistern bereit, die die edlen Damen kokett mit ihren Fächern verjagen. Sie dinieren unter dem Sternenhimmel, kosten von den erlesenen Speisen und Weinen, und sind neidisch, weil die Edelmänner, im Gegensatz zu den verschnürten Frauen, aus dem Vollen schöpfen können.

Zur Streichmusik wiegen sich Paare in Kostümen unterschiedlichster Epochen, tanzen Menuette im voll erblühten Garten. Die Vorfreude auf die dreistöckige Torte, die anlässlich des Geburtstagsfestes des Prinzen Eugen von Savoyen angeschnitten wird, hält sich in Grenzen. Um sich ein Stück einzuverleiben, müsste man die Bänder des Korsetts wohl lösen.

Zu später Stunde präsentieren attraktive Models Eigenkreationen der Modeschule Herbststraße, darunter auch eine wunderschöne Kopie des Kleides der Königin Christina von Schweden. Maria Theresia begegnet dieser Kostümierten, die unter der bestickten Brokatrobe einen voluminösen Reifrock trägt, auf dem stillen Örtchen, wo alle den engen Vorraum mangels Platznot räumen müssen, selbst die erlauchte Majestät, damit die Bereifte ihre Kabine verlassen kann.

Feuerspucker illuminieren mit gewagten akrobatischen Kunststücken die Schwärze der Nacht. Um Mitternacht flackern plötzlich bunte Lichter, und nicht nur das Funkeln der Sterne, über den wolkenverhangenen Himmel. Ein fulminantes Feuerwerk zu Ehren des ruhmreichen Feldmarschalls explodiert über den hochgereckten Köpfen.

Ein frisches Mailüftchen hat sich aufgemacht, bauscht die leichten Röcke der Aristokratinnen, lässt sie frösteln. Einige wärmen sich beim Lagerfeuer, wo sich ein Wildschwein auf dem Bratrost dreht. Die künstliche Haarpracht verursacht Kopfschmerzen, jedoch Carpe Diem hat sich in jener Nacht in zauberhafte Realität verwandelt.

© Silvia Peiker 2021-04-26

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