Zwei Salzburger in Berlin
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Wir schreiben den 20.Mai 2007. Ich hatte ein beschissenes Jahr hinter mir. Mein Partner kam im Jahr davor bei einem Autounfall ums Leben, ich selbst war monatelang krank und hatte berufliche Schwierigkeiten. Das Burn out erwischte mich voll. Auf Anraten meines Arztes nahm ich mir eine Auszeit und plante eine Reise nach Berlin. Mit einem Busunternehmen sollte ich vom Donnerstag Feiertag Christi Himmelfahrt bis zum Sonntag- als vom 17.Mai bis 20.Mai eine organisierte Reise nach Berlin machen. Plötzlich kam ein Anruf, dass ein Platz im Flugzeug frei geworden ist. Somit gewann ich eigentlich zwei Tage, denn von Salzburg nach Berlin mit dem Flieger dauert es eine Stunde. Endlich weg von dem Elend, hinein in unbekannte Gefielde. Ich unternahm auf eigene Initiative Rundfahrten mit einem Doppeldeckerbus, wanderte Unter den Linden, betrachtete die Trümmerfrauen am Alexanderplatz. Am Abend sang die Netrebko in der Berliner Oper und die Aufführung wurde auf die Straße übertragen, ein Highlight! Die Tage vergingen wie im Flug, der Sonntag kam und ich hatte Zeit übrig, weil mein Retourflug erst am Abend ging. Wie ich so durch Berlin schlenderte, bemerkte ich Schiffsrundfahrten, die vom Berliner Dom abfuhren. Der Skipper läutete schon die Glocke, bereit zur Abfahrt. Ich nahm meine Beine in die Hand und rannte ihm zuwinkend los. Mit breitem Grinsen wartete er auf mich. Er streckte mir die Hand entgegen und ich sprang ins Boot. Gleich in der ersten Bankreihe war Platz. Dort saß allein mit beiden Armen über die Lehne gestreckt ein großer Mann. Höflich fragte ich ihn, ob da noch Platz wäre. Er sah mich an, murmelte fast unverständlich “Ja", räumte nicht gerade begeistert seine gelbe Outdoorjacke weg und machte mir Platz. Nach einigen Minuten ergab sich ein Gespräch, aber nur in kurzen Sätzen. Ich erkannte die Sprachmelodie. "Sie sprechen salzburgerisches Deutsch", sagte ich. Er: "Ich bin aus Salzburg!" Ein schiefer Blick meinerseits, bevor ich erwiderte:"Ich auch!" Jetzt drehte er sich erstaunt zu mir. Was soll ich sagen? Am Ende der Bootsfahrt fragte er mich, ob er sich mir anschließen dürfe. Mit einem Lächeln nickte ich ihm zu. Der Tag wurde zu einem Präludium meines neuen Lebens. Wir erklommen die 180 Stufen in die Kuppel des Berliner Doms, dann ging es abwärts zu den Hohenzollern. Bei fast dreißig Grad spazierten wir zum Gasthaus, wo Angela Merkel zu speisen pflegte. Er begleitete mich am Nachmittag zurück zum Alexanderplatz, wo ich in die U-Bahn einstieg und zum Hotel zurückfuhr. Am Abend hatten wir vom Flughafen Tegel um zwanzig Uhr unseren Rückflug. Er war schon da und organisierte die Sitzplätze. Am Kofferband in Salzburg tauschten wir unsere NAMEN! und Adressen aus. Wir wohnten in derselben Wohngegend, waren beide begeisterte Hundebesitzer, hatten dieselben Gassi- Runden und uns nie im Leben getroffen. Am 20.Mai 2017 heirateten wir, in unseren Eheringen steht aber der 20.Mai 2007 graviert. Übrigens mein Mann heißt Alexander!
© Sonja Runtsch-Dworzak 2022-01-22
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