Vor-gesetzte
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Wenn ich an meine bisherigen Arbeitsjahre zurückdenke, dann hatte ich ein paar ganz spezielle Chefs.
Mein erster Job war in einem Betrieb am Land, wo man mir als Städterin mit Matura und Diplom anfänglich viel Skepsis entgegengebrachte. Mit der Zeit sahen die Arbeiter, dass auch blonde Tussis g’scheit anpacken können, wodurch sie mich akzeptierten und schätzten. Als ich nach 1½ Jahren den Chef zu einer Geschäftsreise begleitete, kam ich zum ersten Mal mit Übergriffigkeit in Kontakt. Er hatte in der Pension beim Abendessen ein paar Gläser Wein konsumiert und mich ganz ungeniert angegrapscht. Ich sträubte mich und lief angeekelt aufs Zimmer. Beim Frühstück tat er so, als wäre nie etwas gewesen.
Ein paar Monate später bei einem Betriebsausflug trank er zu viel und fasste im Reisebus jede von uns Frauen unsittlich an. Dies war übrigens bestens bekannt, dass er durch Alkohol Frauen sexuell belästigte. Aber damals im Jahre 1998 gab es noch kein #metoo und mir riet sogar ein Bekannter, dem ich mich anvertraute, dies für mich zu behalten, da ich sonst womöglich nie wieder einen Job bekäme.
Als ich nach 2½ Jahren bei einem neuen Arbeitgeber tätig war, kam ich mit einer anderen Nettigkeit in Kontakt. Ich arbeite immer viel und erwähnte mal, dass ich mich über etwas Anerkennung für meine Leistung freuen würde. Er meinte daraufhin: „Lob heißt Lügen ohne Bedeutung.“
Jener starb übrigens einige Jahre später ganz überraschend. Für seine Frau und die Kinder tat es mir sehr leid.
Dann gäbe es da noch die rumänische Diktatorin zu erwähnen. Ihre Meetings waren alle „open end“ und wir saßen bis 22Uhr zusammen. Um keine Zeit mit Essen zu vergeuden, gab es Fingerfood, welches zwischen den Präsentationen gegessen wurde. Ich erinnere mich an einen Urlaub in Mallorca, wo ich am Strand meinen Forecast durchgeben musste. Nach 7 Monaten des Ceaușescu-Regimes hatte das Team geschlossen gegen sie Beschwerde eingelegt und sie wurde tatsächlich gekündigt.
Danach kam mein absoluter Favorit namens „Satan“. Er genoss es seine private Trennung samt finanziellen Einbußen an uns auszulassen. Liebend gerne machte er bei Meetings eine der Kolleginnen fertig, bis sie glasige Augen hatte und lächelte dann wie ein Breitmaulfrosch über seinen Erfolg. Er loggte sich in unsere Mails und überprüfte welche Webpage man vom Firmen-Laptop in der Freizeit aufrief, was natürlich alles nicht erlaubt war. Selbst beim Mittagsessen stritt er mit jedem, der vegetarisch aß oder sich nicht impfen ließ. Solange ich tolle Umsätze brachte, bekam er von mir immer Konter, aber irgendwann konnte ich die Steigerung nicht mehr bringen und wurde von ihm ebenfalls gequält. Es folgte ein Kollabieren, Dauerpalpitationen, ein Geschwür im Hals und tägliche Kopfschmerzen. Nach 8 Monaten hatte ich den Mut, ohne einen neuen Job, zu kündigen.
Letztes Jahr erfuhr ich, dass er ein Pankreaskarzinom hat. Ich hätte es ihm nie gewunschen, aber verwundern tut es mich nicht.
Foto: Getty Images
© Sylvia Eugenie Huber 2020-05-10
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